Der Schutz der Bevölkerung bei Katastrophen und in Notlagen ist das Kerngeschäft der Abteilung Bevölkerungsschutz. Mit Russlands Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 war die Abteilung Bevölkerungsschutz mit einem Schlag wieder mit Fragen zu den Schutzräumen konfrontiert, wie sie die Bevölkerung und die Gemeinden seit Ende des Kalten Krieges kaum mehr gestellt hatten.
Schutzräume und Zuweisungsplanung – Vorbereitungen aus dem Kalten Krieg werden wieder aktuell
Wo ist mein Schutzraum?
Die Frage «Wo ist mein Schutzraum?» prägte neben der Omikron-Welle, dem Flüchtlingsandrang im Frühjahr und der drohenden Energiemangellage (und natürlich allen «normalen» Arbeiten) das Geschäftsjahr 2022 der Abteilung Bevölkerungsschutz. Auch wenn der bewaffnete Konflikt, die Pandemie, die Energiemangellage oder der Flüchtlingsandrang in den Risikoanalysen des Bevölkerungsschutzes schon seit Jahren aufgeführt wurden, war gerade der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgeproblemen das erschreckendste Beispiel, wie schnell ein «Risiko» zu einer «Gefahr» bzw. einem «Ereignis» werden kann. Entsprechend häuften sich auch in der Abteilung Bevölkerungsschutz die Anfragen aus der Bevölkerung und der Gemeinden zu den Schutzräumen generell, zu einem allfälligen Bezug der Schutzräume und ganz einfach zur Frage, wer in welchem Schutzraum Platz findet.
Lücken bei der Zuweisungsplanung
Schnell zeigte sich, dass auch im Kanton Bern die Zuweisungsplanung, die allen Einwohnerinnen und Einwohnern ihren Schutzplatz zuweist, in den letzten Jahren vielerorts nicht aktualisiert worden war. Grundsätzlich sind zwar die Gemeinden dafür zuständig, doch auch der Kanton hat diese Lücken bewusst in Kauf genommen, weil in Bezug auf kriegerische Ereignisse immer von einer relativ langen Vorlaufzeit ausgegangen wurde und der Bund für die Erstellung einer Zuweisungsplanung eine Frist von 3 Monaten definiert hatte. Es wurde im Frühjahr 2022 jedoch klar, dass die Bevölkerung, die schlussendlich die Schutzräume finanziert, ein Anrecht darauf hat zu erfahren, wo sich der zugewiesene Schutzraum befindet oder zumindest, dass eine entsprechende Planung besteht.
Kantonales Angebot für die Gemeinden
Dank einer bereits laufenden Zusammenarbeit mit einer externen Firma zur Verbesserung der Datenhaltung und der Prozesse bei der Schutzraumverwaltung konnten wir den Gemeinden in dieser Situation anbieten, die Berechnung der Zuweisungsplanung zu übernehmen. 183 Gemeinden haben von diesem Angebot profitiert und den Kanton mit der Erstellung der Planung beauftragt. Dafür wurde einerseits ein optimierter Zuweisungs-Algorithmus entwickelt, der bei der Zuweisung z. B. das Alter der Bevölkerung, die Familienzusammensetzung, die Fussdistanzen vom Wohnort zum Schutzraum und den Zustand der Schutzräume berücksichtigt. Andererseits wurde eine Dateninfrastruktur aufgebaut, welche die Einwohnerregister der Gemeinden, das nationale Gebäude- und Wohnungsregister und die kantonale Schutzraumdatenbank umfasst. Auf dieser Basis konnte bis Mai 2022 für die 183 Gemeinden eine gute, nachvollziehbare Schutzraumzuweisung berechnet werden.
Erkenntnisse
Das kurzfristige Projekt zur Schutzraumzuweisung zeigte verschiedene Punkte auf:
- Erstens ist es wichtig, auch im «tiefsten Frieden» die Zuweisungsplanung periodisch zu aktualisieren, solange am System der Schutzräume festgehalten wird. Entsprechend soll in Zukunft im Kanton Bern wiederum mindestens jährlich eine Aktualisierung erfolgen.
- Zweitens konnte der Kanton Bern zusammen mit der externen Firma ein Zuweisungsplanungs-Tool aufbauen, das von der Qualität und Nachvollziehbarkeit der Planung her neue Massstäbe setzt. Weitere Kantone zeigen sich interessiert, das Tool zu übernehmen.
- Drittens wurde auch klar, dass die Erstellung der Zuweisungsplanung durch den Kanton insgesamt effizienter und ressourcenschonender erfolgen kann als bei einer Delegation dieser Aufgabe an die Gemeinden bzw. teilweise die Zivilschutzorganisationen. Der Kanton wird den Gemeinden deshalb auch in Zukunft anbieten, die Zuweisungsplanung gegen Verrechnung zu erstellen und mit der vorgesehenen Gesetzesrevision ab 2025 die Zuständigkeit für diese Aufgabe voraussichtlich zum Kanton verschieben, auch wenn die Mitarbeit der Gemeinden selbstverständlich weiterhin notwendig ist.
- Viertens zeigte die Zuweisungsplanung auf, in welchen Gebieten eine Schutzplatz-Unterdeckung vorhanden ist. Die betroffenen Gemeinden sind aufgefordert, mit der Umnutzung von bisherigen Schutzanlagen oder dem Bau von öffentlichen Schutzräumen diese Defizite möglichst rasch zu beheben.
- Und fünftens zeigten sich auch die Lücken, die bei den ganz konkreten Fragen zur Inbetriebnahme und dem allfälligen Bezug eines Schutzraumes bestehen. Die wieder aus dem Archiv geholten Reglemente und Behelfe aus den 80-er und 90-er Jahren konnten nur einen Teil dieser Fragen beantworten. Deshalb sind sowohl das Bundesamt für Bevölkerungsschutz wie auch das BSM damit beschäftigt, neue Grundlagen zur Bereitstellung und Nutzung eines Schutzraumes für die Zivilschutzorganisationen und die Bevölkerung zu erstellen.
In der Hoffnung, dass diese Vorbereitungen nie benötigt werden, hat damit die Schutzraum-Thematik im Jahr 2022 wieder einen Stellenwert eingenommen, den sie seit dem Kalten Krieg nie mehr hatte. Viele damit verbundene Fragen konnten im vergangenen Jahr geklärt werden. Die alternde Infrastruktur (ein Grossteil der Schutzräume wurden vor 40 bis 50 Jahren gebaut), die sinkenden Bestände im Zivilschutz (wer sonst weiss, wie ein Schutzraum funktioniert?), aber auch ein trotz allem seit dem Kalten Krieg verändertes Kriegsbild bzw. eine veränderte generelle Risikolandschaft bringen auch für die kommenden Jahre in diesem Bereich weitere Herausforderungen mit sich.
Stephan Zellmeyer, Abteilungsleiter Bevölkerungsschutz
Ausgewählte Kennzahlen
Entwicklung der aktiven Bestände im Zivilschutz

Innerhalb von 3 Jahren haben die Bestände im Zivilschutz um rund 25 % abgenommen. Dies vor allem aufgrund der Verkürzung der Dienstpflicht, die mit dem totalrevidierten Bundesgesetz vom 20. Dezember 2019 über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz (BZG, SR 520.1) ab 2021 eingeführt wurde. Aber auch die im Verhältnis zu den jährlichen Abgängen zu tiefe Rekrutierungsquote führt zu abnehmenden Beständen.
Rekrutierung von Angehörigen des Zivilschutzes

Im Jahr 2022 konnten wieder mehr Personen für den Zivilschutz verpflichtet werden. Coronabedingt kam es in den beiden Vorjahren zu einer Reduktion der Rekrutierungsaktivitäten. Generell ist aufgrund der demographischen Entwicklung (weniger Stellungspflichtige) und der differenzierten Zuweisung (Tauglichkeit) in der Armee in Zukunft mit weniger Rekrutierungen zu rechnen.
Geleistete Diensttage im Zivilschutz (ohne Verwaltung)

Der Ausbildungsbetrieb im Zivilschutz hat sich im Jahr 2022 normalisiert. Die Zahl der Diensttage im Rahmen von Einsätzen ist gegenüber 2020 und 2021 zwar gesunken, aufgrund der Einsätze im Zusammenhang mit der Betreuung von Schutzsuchenden aus der Ukraine jedoch deutlich über dem langjährigen Mittel.